Am 21 Juni 2020 kampierten Sanaa Seif, ihre Mutter und ihre Schwester vor den Toren der Tora-Vollzugsanstalt in Kairo, Ägypten. Seit Beginn der COVID-19 Pandemie hat der Ägyptische Staat alle Informationsflüsse in seinen Gefängnissen abgeriegelt. Sanaa und ihre Familie kampierten an diesem Tag vor dem Gefängnis, um auf ihr einfaches Recht zu bestehen, einen Brief von Sanaas Bruder, dem bekannten Blogger und Aktivisten Alaa Abd El Fattah, zu empfangen. Er wird bereits seit dem 19 September ohne ein gerichtliches Verfahren festgehalten, nachdem er bereits eine unrechtmäßige fünfjährige Haftstrafe abgesessen hat.
Am Morgen des 22 Juni 2020 wurden die kampierenden Familienangehörigen von Alaa Abd El Fattah von einer Gruppe neutral gekleideter Frauen attackiert, die von Gefängniswärtern und Polizeibeamten dazu angestiftet wurden. Die drei angegriffenen Frauen wurden durch den Angriff ernsthaft verletzt, sie wurden ausgeraubt und Sanaa erlitt eine Kopfverletzung.
Am nächsten Tag, den 23 Juni 2020, suchten sie den Amtssitz des Oberstaatsanwalts auf, um den Vorfall anzuzeigen. In diesem Zusammenhang wurde Sanaa von Polizeibeamten in Zivil entführt. Ohne ihren Anwalt wurde sie in einen neutralen Minivan gezogen und in Ägyptens Staatssicherheitsgefängnis verschleppt. Das Gefängnis ist bekannt dafür, politische Gefangene in Untersuchungshaft zu nehmen, ehe diesen wegen unbegründeter „Terrorismus“-Vorwürfe der Prozess gemacht wird. Sanaa wurde von Staatsanwälten verhört und schließlich ihre Untersuchungshaft unter dem Vorwurf der „Anstachelung zu terroristischen Akten“, der „Verbreitung von fake News“ und der „Falschverwendung von Sozialen Medien“ angeordnet. Weder Sanaa noch ihrem Anwalt wurde Akteneinsicht zugebilligt.
Sanaa ist Filmemacherin, Schriftstellerin und Aktivistin. Sie arbeitete an der Oscar-prämierten Dokumentation „The Square“ sowie am Preisgekrönten Film „In the Last Days of the City“. Sie ist eine von hunderten Künstler*innen, Anwält*innen, Journalist*innen, LGBTQ*-Menschen, Schriftsteller*innen, Publizist*innen, Bibliothekar*innen und Übersetzer*innen, die gegenwärtig in ägyptischen Vollzugsanstalten inhaftiert sind.
Sanaa ist der jüngste Fall in einer scheinbar endlosen Serie von Verhaftungen, die die Regierung von Präsident Abdelfattah Al-Sisi zu definieren scheinen. Menschenrechtsorganisationen dokumentierten zehntausende politisch motivierte Festnahmen; mindestens 19 neue Vollzugsanstalten wurden seit Beginn der Regierung Al-Sisis gebaut. Gerichte und Staatsanwälte verlängern Untersuchungshaften ohne die Anwesenheit der Angeklagten vor den beschlussfassenden Gerichten. Tausende befinden sich im ewigen Kreislauf von immer wieder verlängerten Untersuchungshaften, ohne je einen Prozess zu bekommen.
Im Juni diesen Jahres nahm sich Sara Hegazy das Leben. Sie hat sich von von ihrem Gefängnisaufenthalt und der ihr dabei widerfahrenen Folter nie erholen können. Sie wurde inhaftiert, weil sie eine Regenbogenfahne bei einem Konzert geschenkt hatte. Im Mai verstarb Shady Habash, ein 24-jähriger Regisseur der bei seiner Festnahme gerade an einem kritischen Film über den ägyptischen Präsidenten arbeitete, weil Vollzugsbeamte ihm medizinische Versorgung verweigerten. Er trank Alkohol und Deinfektionsmittel. Shady Habash wurde zwei Jahre lang ohne Prozess in Untersuchungshaft festgehalten. Shady war ein Freund von Sanaa. Einige Monate vor seinem Tod schrieb er:
„Ich brauche eure Unterstützung und ich will dass ihr sie daran erinnert, dass ich immer noch im Gefängnis sitze, und dass sie mich hier vergessen haben, und dass ich hier langsam, Tag für Tag, sterbe, weil ich weiß dass ich vor alldem alleine bin. Ich weiß, ich habe viele Freunde die mich lieben und Angst haben mir zu schreiben oder denken dass ich auch ohne ihre Unterstützung wieder frei komme. Ich brauche euch und ich brauche eure Unterstützung mehr denn je.“
Die Solidarität der internationalen Gemeinschaft ist heute, in diesen Zeiten beispiellosen Versagens von Verantwortlichkeit, nötiger denn je.
Gemeinsam rufen wir die ägyptischen Behörden dazu auf, Sanaa, Alaa und all jene die für die bloße Ausübung ihrer Rechte in Haft sind, augenblicklich zu entlassen.
Wir rufen die ägyptische Regierung dazu auf, den Missbrauch von Untersuchungshaft zu beenden.
Wir rufen auf zur weltweiten Durchsetzung des Rechts aller Menschen auf Menschenwürde und Gerechtigkeit.
INSTITUTIONAL CO-SIGNERS
Amnesty International
Arsenal – Institute for Film and Video Art
Artists at Risk
Cairo Institute for Human Rights Studies
Electronic Frontier Foundation
English PEN
EuroMed Rights
Freemuse
Human Rights Watch
Index on Censorship
The International Coalition for Filmmakers at Risk (ICFR) and its founding organizations:
the European Film Academy (EFA),
the International Film Festival Rotterdam (IFFR),
The International Documentary Film Festival Amsterdam (IDFA).
International Documentary Organization (IDA)
PEN America, Artists at Risk Connection
PEN International
Reprieve
Société des réalisateurs de films – SRF
Sundance Institute